VdS-Schadenverhuetung News

Hilfreicher Leitfaden für Industrie- und Gewerbeunternehmen

Überarbeitung VdS 3521: Schutz vor Überschwemmungen

Ein Artikel von Daniel Müller, Risikoingenieur bei der R+V Allgemeine Versicherung AG, erschienen im s+s report Ausgabe 02/2023, Juni 2023.

Der Klimawandel ist in aller Munde. Über die weltweiten Auswirkungen wird täglich berichtet, zum Beispiel über große Trockenheit in Frankreich und Spanien, aber auch über sinkende Grundwasserspiegel bei uns, Überflutungen in Kalifornien und Afrika, Erdrutsche in Lateinamerika, Hitzewellen in Südostasien … In Deutschland war 2021 die Flutkatastrophe im Ahrtal ein besonders einschneidendes Ereignis.

Seit dem letzten Jahr nimmt die Nachhaltigkeitsdiskussion so richtig Fahrt auf. Hier geht es für die Versicherungswirtschaft darum, Klimafolgeschäden zu begrenzen. Die Versicherer werden sogar von der EU-Gesetzgebung dazu verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren und Maßnahmen zu ergreifen. Der GDV hat das Thema schon viele Jahre auf seiner Agenda. Die Projektgruppe Naturgefahren erarbeitet zu diesem Thema fortlaufend neue Leitfäden (z. B. VdS 6002 „Baukonstruktive Überflutungsvorsorge“) und aktualisiert schon vorhandene. So auch wie jetzt bei der VdS 3521 „Schutz vor Überschwemmungen – Leitfaden für Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen bei Industrie- und Gewerbeunternehmen“, die im November 2022 veröffentlicht wurde.

Dieser Leitfaden wurde im Nachgang der schweren Hochwässer an Elbe und Donau erstmalig im Jahr 2007 veröffentlicht. Während im Jahr 2021 die Überarbeitung erfolgte, erschütterte das Tief Bernd mit seinen Folgen die Republik. Erste Erkenntnisse aus dieser Katastrophe wurden bereits in den Leitfaden eingearbeitet. Bei der Überarbeitung wurde auch ein weiteres Phänomen neben den Gewässerausuferungen schwerpunktmäßig behandelt: Starkregen und dessen Auswirkungen, auch im Flachland.

Ziel des Leitfadens ist es, den Interessierten in der Versicherungswirtschaft und ihren Kunden eine Anleitung und Hilfestellung beim Umgang mit diesen Ereignissen und den damit verbundenen Klimafolgeschäden zu geben.

Was können wir als Versicherer zur Schadenverhütung beitragen?

Schäden durch Starkregen und Gewässerausuferungen, also primär Gebäudeschäden durch Hochwässer, sind Klimafolgeschäden und werden leider in Zukunft zunehmen, unabhängig von den weltweiten Bemühungen, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu senken. Als Versicherer sind wir verpflichtet, unsere Versicherungsnehmer darüber zu informieren und nicht auch zuletzt im ureigenen Interesse die Schäden zu vermeiden bzw. zu reduzieren oder zu minimieren. Dazu müssen wir erst einmal alle Beteiligten sensibilisieren und ihnen auch Möglichkeiten aufzeigen, potenzielle Gefahren zu erkennen, um diesen adäquat zu begegnen.

Der überarbeitete Leitfaden VdS 3521 beinhaltet u. a. die Themen Verantwortung, Risikopotenzial, Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen sowie Praxisbeispiele, nützliche Literatur- und Link-Hinweise. Ein Musternotfallplan im Anhang ist ein guter Einstiegspunkt zur Erarbeitung eines eigenen solchen Plans. Mit Blickrichtung auf die Verantwortung wird auf die durch die öffentliche Hand festgelegten Anforderungen durch Gesetze und Verordnungen hingewiesen.

Risikopotenzial und Schutzkonzepte

Das Risikopotenzial ergibt sich aus den drei wesentlichen Einflüssen: Hochwasser, Starkregen und Rückstau. Es werden Schadenstatistiken mit Angaben zu Kosten an Gebäuden, Inhalt und Betriebsunterbrechung aufgeführt. Die Ursachen dazu werden beschrieben. Auch haben Überflutungshöhe und -dauer einen Einfluss auf die Schadenhöhe, was durch Untersuchungen dargestellt wird.

Bei den Schutzkonzepten werden zum Thema Gefährdungs- und Risikoanalyse die Gefahren im Einzelnen beschrieben. Lokale Starkniederschläge und Sturzfluten, Ausuferungen von größeren Gewässern und aufsteigendes Grundwasser werden behandelt und welche Punkte bei den Analysen zu betrachten sind.

Schutzziele und Schutzmaßnahmen

Über das Aufzeigen von Qualitätskriterien der Gefährdungsanalysen zur Definition der Schutzziele und Festlegung der Schutzstrategie wird auf die Vielfalt der baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen eingegangen. Diese Schutzmaßnahmen werden differenziert nach dem jeweiligen Ereignis, aufgeführt. Dabei werden unterschiedliche Ereignisse unterschieden: vor der Überflutung und nach Gewässerausuferung oder Starkregen, einer drohenden Überflutung sowie nach der Überschwemmung.

Zur Vermeidung von Überflutungen wird aus meiner Sicht erstmalig das „Wort des Jahres in der Elementarschadenverhütung“ erwähnt: „Bemessungswasserstand“. Für Viele ein neues Wort bzw. eine neue Begrifflichkeit, die aber in den DIN-Bauregelwerken schon seit vielen Jahren verankert ist. Fragt man Fachplaner danach, so sagen sie, dass der Bemessungswasserstand dazu dient, die Frage der Notwendigkeit von Abdichtungen von Gebäudeuntergeschossen zu beantworten, also um Kellergeschosse gegen möglicherweise eindringendes Grundwasser zu schützen. Dies ist zwar richtig, aber nur die halbe Wahrheit. In der Vergangenheit war dies vielleicht auch noch ausreichend. In der DIN 18533 wird von Bemessungsgrundwasser (für die Kellergeschosse) und Bemessungshochwasser für das gesamte Gebäude, also auch die Geschosse oberhalb der Erdgleiche, gesprochen. Der jeweils höchste Wasserstand ist somit bei der Abdichtung gegen eindringendes Wasser, ob Grundwasser oder Hochwasser, zu ermitteln und zu berücksichtigen.

Die Erfahrung im Risk Engineering hat aber gezeigt, dass dies selbst bei großen Neubauobjekten von den Fachplanern nicht beachtet wird. Falls der zuvor beschriebene Fall eintritt, dass lediglich der Bemessungsgrundwasserstand durch einen Fachplaner betrachtet wurde, stellt dies einen Verstoß gegen die Baunormen dar und ist als Planungsfehler nach HOAI zu werten.

Der Bemessungsgrundwasserstand wird von den Baugrundgeologen eigentlich immer ermittelt und wird auch dann richtig bei der Planung verwendet. Der Bemessungshochwasserstand muss aber auch beachtet und kann zunehmend einfacher ermittelt werden. Zunächst sollte nach langjährigen Erkenntnissen, also auch historischen Überflutungen im Bereich des Standortes, anhand der eingetretenen Aufstauhöhen von Hochwässern recherchiert werden. Dies reicht aber durch die Auswirkungen des Klimawandels oft nicht mehr aus. Starkregenfälle sind das zunehmende Problem. Auch wenn diese über das Jahr verteilt nicht immer, wie im Ahrtal, zu dramatischen großregionalen Ereignissen führen, so sind die jährlichen Schäden für die Volks- und Versicherungswirtschaft immens und gehen in die hunderte von Millionen Euro. Es muss dagegen aktiv etwas getan werden.

Die ungeliebten, über die behördlichen Anforderungen hinausgehenden Forderungen zur Schadenverhütung der Risikoingenieure der Versicherer sind, wie auch in anderen Gefahrenbereichen wie z. B. bei Brandrisken, überall bekannt. Bei der Elementarschadenverhütung müssen wir diese Schwerter aber nicht immer zücken, denn die Einhaltung der etablierten und seit vielen Jahren definierten Baunormen spielen uns hier sehr gut in die Karten, ohne dass erst einmal Zusatzforderungen erhoben werden müssen, da der Hinweis auf einen Mangel natürlich unangenehm ist. Unser Wunsch nach Erfüllung der Baunormen nimmt den Fachplanern den Wind aus den Segeln, da sie zur Einhaltung der gängigen Normen verpflichtet sind. Ein Nichtbeachten kann so noch viele Jahre nach dem Bau zu berechtigten Regressansprüchen an die Planer führen.

Vermeidung von Rückstauschäden

Einen weiteren Vorteil für die Sicherheit der Gebäude gegen eindringendes Wasser stellt die Ermittlung des Bemessungshochwassers auch bei der Begegnung von Rückstauschäden dar. Auch hier ist vielfach, wie Erfahrungen zeigen, leider ein Defizit bei Fachplanern und Handwerkern offensichtlich. Um sich gegen Rückstau zu sichern, müssen – gemäß den verbindlichen Forderungen der kommunalen Abwassersatzungen – Rückstausicherungen bei den Objekten eingebaut werden. In den gewerblichen Bereichen sind zur Ableitung von Abwässern, und seien es nur sanitäre Abwässer, Doppelhebeanlagen mit Rückstauschleifen über die Rückstauebene vorgeschrieben. Die DIN 1986-100 regelt dies.

Wie wird diese Rückstauebene ermittelt? Üblicherweise machen es sich einige Fachplaner hier auch wieder sehr einfach und nehmen die Oberkante der Kanaldeckel der vorbeiführenden Straße. Manche nehmen dazu noch einen Sicherheitszuschlag von 15 bis 25 cm Höhe, um das Höhenniveau der Druckleitungen der Rückstauschleife im Objekt festzulegen. Im privaten Bereich gibt es auch oft einen entsprechenden Mangel. So werden die Abwasserleitungen nur bis an die Kellerdecke geführt, um sie dann nach außen zum öffentlichen Kanal zu führen. Aber die Höhe der Kellerdecke ist meist nicht auf dem Höhenniveau der Straßenoberkante.

Wie kann man die richtige Rückstauhöhe ermitteln? Sie erkennen es: Auch hier kann die Ermittlung des Bemessungshochwasserstands helfen! Dieser gibt auch hier die Höhe der tatsächlichen Rückstauebene vor.

Wir, die Versicherer, bekommen so etwas mehr Luft, um unsere Bedürfnisse und letztendlich auch die unserer Versicherungsnehmer zu erfüllen. Wer hat schon gerne Wasser in seinem Gebäude? Ob diese Maßnahmen bei Einhaltung der Normen und entsprechender Umsetzung am Gebäude ausreichend sind, hängt aber letztendlich von der standortbezogenen Bewertung der Risikoingenieure ab.

Leitfaden bietet diverse Tipps und Hilfestellungen

Hilfestellung für die Ermittlung des Bemessungshochwasserstandes liefern ZÜRS und die Gefahrenkarten der Bundesländer sowie in zunehmendem Maße auch die Starkregen-Gefährdungskarten der Kommunen. Diese zeigen sehr gut im kleinräumigen Maßstab die möglichen Aufstauhöhen bei unterschiedlichen Starkregenereignissen in den Siedlungsgebieten und liefern so auch Wasserspiegellagen an den Objekten, die u. a. zur Festlegung des Bemessungshochwasserstandes notwendig sind. In NRW gibt es als bisher einzigem Bundesland sogar eine landesweite Starkregengefährdungskarte.

Der Leitfaden gibt neben den oben beschriebenen Gefahrenschwerpunkten auch viele weitere Erläuterungen und Hinweise zur Bewältigung der Risiken und zeigt Lösungsbeispiele aus der Praxis. So werden beispielhaft die Schutzmaßnahmen eines Betriebs zur Herstellung von Betonfertigteilen beschrieben und wird auf die erfolgreiche Umsetzung eines Schutzkonzepts bei einem Krankenhaus in Norddeutschland eingegangen, das durch ein Starkregenereignis einen Millionenschaden erlitten hatte. Die danach geplanten und umgesetzten Maßnahmen konnten sich bereits nach kurzer Zeit bei einem erneuten Starkregen bewähren.

Welche Probleme sich bei Umsetzung und Betrieb von Schutzmaßnahmen im Falle von verschiedenen Überschwemmungsereignissen ergeben können, wird am Beispiel eines Erlebnisbades in Sachsen beschrieben. Weitere anschauliche Fallbeispiele sind ein Schulzentrum einer niedersächsischen Großstadt, das von zwei großen, aufeinanderfolgenden Starkregen geschädigt wurde, und die kommunale Flächenvorsorge zum Schutz einer Siedlung einer nordrheinwestfälischen Kleinstadt.

Am Ende des Leitfadens werden die relevanten Technischen Regeln (DIN-Normen), Publikationen von GDV und VdS sowie andere Literaturhinweise und interessante Links zum Thema aufgelistet.

Last but not least befindet sich im Anhang ein Muster-Notfallplan, der Betroffenen als Grundlage zur Erstellung eines individuellen, auf ihren Standort bezogenen Notfallplans dienen kann.

Fazit

Der aktualisierte Leitfaden VdS 3521 ist eine Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema befassen, und kann somit aktiv den Versicherungsnehmern zur Information und Sensibilisierung übergeben werden Er erfüllt darüber hinaus noch  die geforderte Anforderung zur Informationspflicht der EU-Taxonomie-Verordnung zur Nachhaltigkeit.

 

Links und Literaturhinweise

  • www.gdv.de/gdv/themen/klima
  • www.dkkv.org/
  • www.gdv.de/de/themen/news/katalog-der-gegen-ueberflutungwiderstandsfaehigenaussenwand---decken--undfussboden-konstruktionen-62536
  • VdS 3521 Schutz vor Überschwemmungen – Leitfaden für Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen bei Industrie- und Gewerbeunternehmen
  • VdS 6001 Mobile Hochwasserschutzsysteme – Hinweise für die Beschaffung, den Einsatz und die Bereitstellung
  • VdS 6002 Baukonstruktive Überflutungsvorsorge – Leitfaden mit Hinweisen für die Wahl geeigneter Bauarten und deren bauliche Umsetzung
  • VdS 3855 VdS-Richtlinien für Hochwasserschutzsysteme für den Objektschutz
  • DIN 18195 Abdichtung von Bauwerken
  • DIN 18533-1 Abdichtung von erdberührten Bauteilen
  • DIN 1986-100 Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke

 

Autor:

Daniel Müller, Risikoingenieur bei der R+V Allgemeine Versicherung AG. Kontakt: daniel.mueller@ruv.de

Dieser Artikel ist in der Fachzeitschrift s+s report, Ausgabe 02/2023, Juni 2023.

 

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