VdS-Schadenverhuetung News

Ein Gespräch mit Bettina Falkenhagen, VdS-Hochwasser-Expertin und Referentin auf der Fachtagung „Naturgefahren und Elementarschäden“ am 23. August 2022

Wissen schützt: Wie wir uns besser auf Flutkatastrophen vorbereiten

Bettina Falkenhagen ist Bauingenieurin und bei VdS Schadenverhütung GmbH stellvertretende Abteilungsleiterin Konzeptentwicklung und GeoExpertise. Als Spezialistin für Gefährdungen durch Hochwasser verantwortet sie verschiedene Projekte bei VdS, die einer besseren Prävention dienen, und ist darüber hinaus in zahlreichen Initiativen und Expertengremien aktiv.

Auf der VdS-Fachtagung „Naturgefahren und Elementarschäden“ am 23. August 2022 in Köln und online ist die Hochwasser- und Starkregenkatastrophe in Rheinland-Pfalz und NRW (Tief „Bernd“) ein zentrales Thema. Bettina Falkenhagen erläutert in diesem Zusammenhang unter anderem aktuelle Entwicklungen beim Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen „ZÜRS“, das Versicherern wichtige Daten liefert.

Was Unwetter wie das Sturmtief Bernd im konkreten Fall bedeuten, weiß Bettina Falkenhagen von ihren Hilfseinsätzen im Ahrtal und an der Erft: Seit letztem Sommer ist sie immer wieder als Beraterin für das HKC (Hochwasser Kompetenz Zentrum Köln) ganz nah dabei. Um die vom Unwetter Betroffenen zu unterstützen, stellt ihr Arbeitgeber VdS ihr Know-how und einen Teil ihrer Arbeitszeit für dieses Projekt zur Verfügung.

Wir haben mit ihr über ihr Engagement, über aktuelle Daten und Maßnahmen für die Prävention und über ihren Vortrag auf der Fachtagung „Naturgefahren und Elementarschäden“ gesprochen.

Frau Falkenhagen, wie kann man sich die Beratungseinsätze in den Überflutungsgebieten vorstellen?

Das Kölner Hochwasser-Kompetenz-Zentrum – ein Netzwerk aus Betroffenen, Politik und Wissenschaft – hat ein sogenanntes HKC-Mobil eingerichtet, das ist ein Kleinbus mit Anhänger, der mit Anschauungsmaterial ausgestattet ist. Dieses Mobil kommt regelmäßig zu Beratungsterminen in die betroffenen Gegenden, um die Menschen dort mit Know-how zu unterstützen, zum Beispiel zum Wiederaufbau oder zum besseren Schutz ihrer Häuser. Zuerst war es im Auftrag des Wasserverbands Eifel-Rur (WVER) unterwegs, mittlerweile auch für den Erftverband und verschiedene Städte und Gemeinden. Ich war nach der Flutkatastrophe häufig Teil des Beratungsteams, auch jetzt bin ich immer wieder mal dabei.

Was erleben Sie bei Ihren Einsätzen?

Ich bekomme vor allem viele bewegende Schicksale mit. Wir stellen immer eine Bank hin und hören erst einmal zu, das ist ganz wichtig. Ich hatte zuerst befürchtet, unser Angebot könnte vielleicht nicht so gut aufgenommen werden, weil wir ja nur mit Worten helfen können. Die Sorge war aber unbegründet – das Interesse war von Beginn an sehr groß und ist es bis heute.

Welche Informationen sind für die Menschen wichtig?

Da geht es um ganz konkrete Fragen wie das Abdichten von Türen, Fenstern, Kellerschächten oder Garagen, um den Kanalrückstau und um das Bauen mit wasserresistenten Baustoffen und -konstruktionen. Ich frage die Besucher immer auch nach ihrer Versicherung und bekomme fast nur erfreuliche Antworten. Bisher waren die meisten, mit denen ich gesprochen habe, versichert und hatten auch keine Probleme mit ihrer Versicherung. Nur in zwei oder drei Fällen habe ich die Person an den Ombudsmann des GDV verwiesen – das ist die Schlichtungsstelle der deutschen Versicherer, und die hilft den Leuten wirklich gut weiter.

Außerdem bin ich froh, den Menschen sagen zu können, dass auch auf anderen Ebenen etwas getan wird, etwa bei den Gemeinden. Es gibt da zum Beispiel das Projekt „Masterplan Eschweiler und Stolberg“ für die Flächenvorsorge. Ich war selbst daran beteiligt, bin ganz konkret für den Wasserverband Eifel-Rur den Fluss entlanggegangen und habe Empfehlungen entwickelt. Dazu gehört sowas wie: Retention in der Fläche verbessern, also etwa mehr Auen und Feuchtgebiete schaffen und nutzen, die Wasser aufnehmen; Mauern und Brücken höherlegen; Geländer abklappbar machen etc.

Das Sturmtief „Bernd“ hat ein neues Ausmaß an Gefährdung durch Wetterereignisse deutlich gemacht, die auch in Zukunft denkbar wären. Welche Möglichkeiten gibt es für Voraussage und Vorbeugung?

Es gibt viele gute Initiativen und Hilfsmittel. Da ist zum Beispiel das vom Bund geförderte Projekt KAHR, das steht für „Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz für Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen“ und unterstützt den Wiederaufbau und die Klimaanpassung mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Eine wichtige Grundlage für alle Maßnahmen, ist, die Gefahren bestmöglich einzuschätzen. So lautet eine der 10 Empfehlungen des Expertengremiums von KAHR: „Alle Potenziale der Hochwassermodellierung und Risikoanalyse sollten zur Planung von Schutzstrategien sowie zur Vorbereitung und Warnung Betroffener ausgeschöpft werden.“ Der GDV, VdS Schadenverhütung und weitere Organisationen haben unterschiedliche Angebote entwickelt, mit denen verschiedene Akteure ihre Risiken besser einschätzen können:

Für Versicherer bietet der GDV das Zonierungssystem ZÜRS an. Es bündelt versicherungsrelevante Geodaten für Naturgefahren und bietet damit eine Basis für die Risikobewertung. Die fachlichen Inhalte wie die Überschwemmungsgefährdung werden von VdS zugeliefert. VdS bietet außerdem einen Lehrgang zu ZÜRS, in dem die Nutzung der Software detailliert erläutert wird. Der nächste Termin ist der 22. August 2022.

Für andere interessierte Berufsgruppen haben wir das Portal GeoVeris im Programm, das Daten aus ZÜRS mit Wetter- und Blitzinformationen verbindet. Das nutzen zum Beispiel Versicherungsmakler für ihre Kunden, Banken für die Kreditvergabe sowie Sachverständige. GeoVeris ist übrigens eine verbesserte Weiterentwicklung der früheren Anwendungen Meteo-Info und ZÜRS Solutions.

Seit März 2022 gibt es eine VdS-Prüfrichtlinie für Hochwasserschutzsystemen für den Objektschutz (HWS), eine entsprechende Zertifizierung wird zurzeit vorbereitet.

Zur Risikoeinschätzung für Bürger und Betriebe hat das HKC einen Hochwasser-Pass entwickelt, der durch Sachkundige ausgestellt wird, zum Beispiel auch durch VdS. Dafür werden Informationen aus Kartenmaterial zusammengestellt, die Gegebenheiten vor Ort geprüft und dann eine Risikoanalyse erstellt. Auch Risikoanalysen für Unternehmen bieten wir bei VdS an.

Darüber hinaus gibt es Hochwasser-Audits für Gemeinden von der Deutschen Vereinigung Wasserwirtschaft (DWA), für die ich als Auditorin aktiv bin.

Insbesondere die Versicherungswirtschaft muss sich ja verstärkt mit Naturgefahren auseinandersetzen. Was tut sich da aktuell?

Der GDV beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. Er hat ein Positionspapier entworfen, das einen ganzheitlichen Blick auf das Thema wirft. Die Kernaussage lautet: Aufgrund der Klimaveränderungen sind gesamtgesellschaftliche Anstrengung nötig, von der Eigenvorsorge der Bürger über die Politik bis hin zur Versicherungswirtschaft. Alle müssen an einem Strang ziehen.

Es braucht ein Zusammenspiel aus Prävention, Klimafolgenanpassung und Versicherung. Dazu gehören auch Bauverbote in extrem hochwassergefährdeten Gebieten und besserer Schutz bestehender Gebäude. Die Versicherungswirtschaft möchte möglichst allen Versicherungen anbieten können, und dafür müssen die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden.

Das Zonierungssystem ZÜRS hat dabei eine Schlüsselrolle. Es wird von allen Versicherungsunternehmen am deutschen Markt eingesetzt, die das Produkt Elementarschadenversicherung im Portfolio haben. Gerade nach der Sturzflut Bernd stellten sich viele die Frage: Wie gut sind die Daten in ZÜRS? Auf der Fachtagung am 23. August werde ich zeigen: Sie waren schon sehr treffend, es wurde aber zusätzlich auf Bernd reagiert.

Aktuelle Überschwemmungsgebiete von der Wasserwirtschaft des Ahrtals wurden in ZÜRS integriert. Außerdem wurden für ZÜRS die Copernicus-Daten ausgewertet, das sind Satellitendaten, die das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in einem Katastrophenfall Behörden und Dritten zur Verfügung stellt.

Aktuell arbeiten wir an einem weiteren fachlichen Projekt, der Sturzflutmodellierung, um Erfahrungen aus dem Ahrtal auf andere Gegenden übertragen zu können. Abschließend werden wir prüfen, ob sich mit diesen Daten die aktuelle ZÜRS-Version noch weiter verbessern lässt, und sie gegebenenfalls integrieren. Auch dazu werde im Rahmen der Fachtagung „Naturgefahren und Elementarschäden“ weitere Details präsentieren.

Wir sind gespannt! Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weiterführende Links:

VdS-Fachtagung „Naturgefahren und Elementarschäden“: vds.de/ft-element

VdS-Lehrgang „Naturgefahren – Analyse und Bewertung mithilfe von Geodaten und Geoinformationssystemen (GIS)“: vds.de/lg-zuers

Hochwasser Kompetenz Centrum (HKC): www.hkc-online.de

Hochwasserpass als Vorsorge für den Bürger: www.hkc-online.de/de/Projekte/Hochwasserpass

VdS-Angebot für Hochwasserpässe: vds.de/naturgefahren/vds-geo-fachdienste/hochwasserpass

Flächenvorsorge seitens der Gemeinden, Projekt Masterplan Eschweiler und Stolberg: www.hochwassergefahrenvorbeugen.de

Die im Rahmen des Projekts empfohlenen Maßnahmen:
www.hochwassergefahrenvorbeugen.de/massnahmen

KAHR Projekt zur Untersuchung des Ereignisses im Ahrtal und konkreter Maßnahmen:
www.hochwasser-kahr.de

Positionspapier des GDV zur Elementarpflichtversicherung: www.gdv.de/resource/blob/71796/6f0fb2efaf19015693e6051a36bb1c0d/pdf-data.pdf

Zonierungssystem für Versicherungsunternehmen ZÜRS Geo:
vds.de/kompetenzen/naturgefahren-vorgaenger/zuers-geo-fachleistungen

GeoVeris (ZÜRS-Informationen für Dritte): vds.de/naturgefahren/geoveris

VdS-Richtlinie  VdS 3521 : 2007-09 (01) "Schutz vor Überschwemmungen, Leitfaden für Schutzkonzepte und Schutzmaßnahmen bei Industrie- und Gewerbeunternehmen":
https://shop.vds.de/publikation/vds-3521/b8c1be2d-6e94-4548-9d45-9834be5b7cbe

 

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