VdS-Schadenverhuetung News

Interview mit Markus Kraft, brandwerk solution, Essen

Erkenntnisse zum Großbrand im Wohnkomplex „Grüne Mitte“

Die Erinnerung ist noch frisch: In den frühen Morgenstunden des 21. Februar 2022 brannte ein großes Wohnhaus in der Essener Innenstadt lichterloh, viele Menschen verloren Ihre Wohnung und ihr Hab und Gut. Was sind die Gründe dafür, dass ein modernes Wohngebäude derartig schnell in Flammen aufgehen konnte?
Dazu ein kurzes Interview mit Markus Kraft, Brandschutzsachverständiger bei brandwerk solution in Essen, der den Brandhergang untersuchte und auf der VdS-Fachtagung „Bauen und Brandschutz in NRW“ im Dezember darüber berichtete.

Wie konnte sich der Brand so außergewöhnlich schnell ausbreiten?

Innerhalb kurzer Zeit hat sich das Feuer über 39 Wohnungen und mehrere Geschosse erstreckt, das ist wirklich sehr ungewöhnlich. Einen sehr großen Anteil daran hatte der stürmische Wind aus Westsüdwest. Zum Zeitpunkt des Brandes herrschten mittlere Windgeschwindigkeiten bis 26 km/h und Böen bis 55 km/h. Begünstigt durch die Lage des Gebäudes und der umliegenden Bebauung hat der Wind das Feuer nach oben und seitlich über die Fassade und dann durch geborstene Fensterscheiben in weitere Wohnungen getrieben.

Konnten Sie das im Nachhinein so genau feststellen?

Ja, denn wir konnten das Brandgeschehen in aufwändigen Computer-Simulationen gut nachvollziehen. Die Simulationen haben gezeigt, dass eine starke Druckdifferenz zwischen der Vorder- und der Rückseite des Gebäudes entstand und dadurch eine Strömung durch das Gebäude von Süden nach Norden mit einer mittleren Geschwindigkeit von 25 km/h, das entspricht 7 Metern pro Sekunde! Die heftige Durchströmung des Gebäudes begünstigte die Brandweiterleitung von der Balkonseite hinein in die Wohnungen. Wenn man sich die Schadensbilder anschaut, sieht man sehr deutlich, dass die Bereiche mit erhöhten Soglasten und die Bereiche mit stark ausgeprägtem Durchbrand korrelieren.

Gab es bauliche Mängel, die den Brand begünstigt haben? Insbesondere die Balkonverkleidungen wurden ja kritisch betrachtet.

Erst einmal ist festzuhalten: Die geltenden baurechtlichen Vorgaben wurden in dem Gebäude umgesetzt. Als der Bauantrag eingereicht wurde, galt die Bauordnung NRW, Stand 2000, die noch keine Anforderungen an Balkonverkleidungen in mittelhohen Gebäuden stellte. Das wurde in der Version von 2018 geändert. Durch den Sturm entwickelte sich der Entstehungsbrand zu einem starken Stützfeuer, das eine Brandweiterleitung über die brennbaren Verkleidungen und über mehrere Geschosse stark begünstigte. Weiterhin ist die optimierte Bauweise der Balkone – eine Tragkonstruktion aus Stahlrost mit brennbaren Belägen – im Gegensatz zu einem Betonplattenbalkon als ungünstig zu bewerten. Unsere Simulationen legen nahe, dass dies beim Großbrand in Essen eine Rolle spielte.

Wie ist der Brand eigentlich entstanden?

Dazu gibt es leider keine zugänglichen Informationen. Vermutlich ist der Brand auf einem der Balkone entstanden.

Zum Schluss das Positive: Beim Essener Großbrand gab es auch ordentlich Glück im Unglück

Ja, man kann gar nicht genug betonen, dass der Brand noch relativ glimpflich ausgegangen ist. Obwohl das Feuer mitten in der Nacht ausbrach, ist wie durch ein Wunder kein Mensch ums Leben gekommen. Hier hat sich sicher die Brandmelderpflicht bewährt, da schnell alarmiert und evakuiert wurde, sowie natürlich das große Engagement der Einsatzkräfte.

 

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